Es war ein warmer sonniger Tag, an dem sich Hamild dazu entschied mal wieder seine Hütte zu verlassen. Der Boden war gekehrt, die Werkzeuge gereinigt und sein Bücherregal bot auch keine Zuflucht mehr in fremde Abenteuer. Er war allein und gelangweilt. Vor zwei Jahren verließ er seine Frau, weil sie ihm fremd wurde. Sie veränderte sich, bis sie irgendwann kaum noch redeten, geschweige denn Zärtlichkeiten austauschten. Sie liebten sich nicht mehr, und trennten sich im Guten. Seit jenem Tag zog er sich mehr und mehr zurück und blieb für sich allein. Er wollte sein Leben ändern, doch es war schwierig für ihn. Denn er wurde in dieser Zeit mit einem Fluch belegt. Einem Fluch, von dem viele träumten. Auch Hamild träumte mal davon, ahnte dabei aber weder, dass dieser Traum einmal wahr werden würde, noch, welche Belastung das tatsächlich sein würde.
An jenem Tag aber, hatte er neuen Mut gefasst und war entschlossen neue Kontakte zu knüpfen. „Wenn ich es nicht mal versuche, wird sich nie etwas ändern“, dachte er sich, als er mit einem Kamm durch sein braunes, teilweise graumeliertes Haar fuhr. Der Weg zur Taverne war lang und unbewohnt. Denn wo sonst, wenn nicht in der Taverne, ließen sich schnell neue Kontakte knüpfen? Lediglich ein Händler trottete mit seiner Kutsche an ihm vorbei. Er grüßte ihn mit Stolz erfüllter Stimme, als hätte er gerade eine Heldentat vollbracht. Der Kaufmann schaute ihn nur abwertend an. In seinem Gesicht konnte er mehr als deutlich ablesen, dass dieser ihn für einen Spinner hielt. Während die Kutsche am Horizont verschwand, wurde ihm auch schnell klar, dass er sich etwas zurückhalten sollte. Denn niemand hier wusste, dass er sich geraden seinen Ängsten stellte.
Er genoss die Sonnenstrahlen, die frische Brise und das Singen der Vögel, während er weiter dem Pfad in die Stadt folgte. Nach ca. einer Stunde kam er geschwitzt und erschöpft am Ortseingang an. Lange Märsche war er einfach nicht mehr gewohnt. Schnaufend verschaffte er sich einen Überblick des kleinen Dorfes, das aus wenigen runtergekommenen Häusern bestand. Einige Meter vor ihm stand eine junge Frau. Sie schien auf jemanden zu warten und schaute ungeduldig den Weg entlang. „Sie weiß bestimmt, wo hier die nächste Taverne ist“, dachte er und sammelte sich kurz, bevor er auf sie zuging. Es dauerte nicht lang, bis sie ihn bemerkte, ihren Blick vom Weg abwandte und ihm in die Augen schaute. Während er auf sie zuging, errötete sie, als hätte sie sich in einer sehr peinlichen Situation wiedergefunden.
Sie wandte ihren Blick aber nicht ab und begrüßte ihn freudig: „Hallo Fremder! Kann ich dir irgendwie behilflich sein?“
„Ich suche die nächste Taverne“, antwortete er nervös. Sie starrte ihn regelrecht an und leckte sich langsam die Lippen, während er sprach. Sie merkte für einen Moment nicht, dass er auf eine Antwort wartete und lächelte ihn an. Sie war hin und weg. „Da drüben“, antwortete sie schließlich. Und ohne den Blick von ihm abzuwenden, zeigte sie auf eine Weggabelung. „Es ist ausgeschildert.“
„Danke“, sagte er und setzte seine Reise fort. Sie war nur wenige Schritte entfernt. Beim Betreten konnte er niemanden ausmachen. Weder der Wirt noch irgendein Gast.
„Hallo!?“, rief er vorsichtig und wartete einen Moment. Hinter dem Tresen öffnete sich eine Tür. Ein älterer Herr eilte hastig zu ihm: „Entschuldige, ich habe keinen Gast erwartet. Zur Mittagszeit sitzen die Leute meist lieber in der Sonne, als sich zu betrinken“, sagte der Wirt und zwinkerte ihm zu. „Ein Bierchen? Geht aufs Haus.“ Ohne Hamilds Antwort abzuwarten, nahm er einen Krug und füllte ihn bis zum Rand mit dem goldenen Gebräu. Hamild nahm den Krug, bedankte sich und setzte sich an einen kleinen Tisch, in der hintersten Ecke des Gasthauses.

„Hab dich hier noch nie gesehen. Wie heißt du?“, wollte der Wirt wissen. „Hamild“, antwortete er gelassen. „Schön dich kennenzulernen, Hamild. Ich bin Sengo. Was treibt dich hier her?“
Hamild erzählte ihm, dass er erst kürzlich zugezogen ist und neue Kontakte knüpfen möchte. Er ließ also ein paar Details aus, die seiner Meinung nach nicht relevant waren. Während sie sich unterhielten, betrat eine junge Frau die Taverne. Es war die, die ihm vorher noch den Weg zeigte.
„Hast du noch ein Zimmer für mich frei, Sengo?“
„Klar, Lessa. Bleib, solang du willst“, erwiderte er, während er den Schlüssel aus einer Schublade zog. Über der Taverne hat er auf dem Dachstuhl zwei kleine abgetrennte Schlafräume eingerichtet. Ursprünglich wollte er dort ein Büro und einen Ruheraum für sich einrichten, doch seine Familie wollte nicht, dass er nur noch in der Taverne lebt. Seither vermietete er die Zimmer an Gäste, wenn sie danach fragten, oder selbst nicht mehr nach Hause fanden. Viel Geld brachten die Zimmer nicht ein, er verlangte auch nicht viel, aber das Angebot ist bekannt und lockt auch so manchen Gast ins Haus, der sonst keinen Fuß in die Taverne setzen würde. Wie Lessa zum Beispiel.
Hamild leerte seinen Krug und stand auf, um zum Tresen zu gehen. „Bleib sitzen, ich bring dir sofort Nachschub!“, rief er ihm zu. In diesem Moment blickte Lessa zu ihm: „Hamild ist also dein Name. Ich bin Lessa“, erzählte sie freundlich. Und während sie von sich erzählte, bemerkte er ihre glänzenden Augen, die roten Wangen und ihr nervöses Verhalten. Er merkte, wie sein Fluch wieder anfing zu wirken. Der Grund, warum er sein Haus nicht mehr verließ. Wie hypnotisiert, ging sie auf ihn zu und lächelte ihn verführerisch an. Aber nicht nur Lessa, auch Sengo, der Wirt kam auf ihn zu. Hamild war mit der Situation überfordert. Seit Jahren war er nicht mehr so lang mit einem Menschen im gleichen Raum. Sie stützte sich auf dem Tisch ab, ließ ihn einen Blick auf ihr Dekolleté gewähren. Dann schloss sie die Augen und setzte zu einem Kuss an. Er wich zurück. Er sah wie Sengo Lessa gierig anstarrte. Plötzlich packte er sie an der Hüfte und zog sie zu sich. Sie drehte sich zu Sengo, griff in sein blondes Haar und küsste ihn. Sie krempelte ihren Rock hoch und setzte sich mit ihrem nackten Hinterteil auf den Tisch. Sengo küsste sie am Hals und ging dann auf die Knie, um seinen Kopf zwischen ihre Schenkel zu pressen. Sie vergrub beide Hände in sein schulterlanges Haar und drückte ihn fest an sich. Hamild war die Situation unangenehm. Er wusste, dass es nicht so weit gekommen wäre, wäre er nicht in der Nähe gewesen. Während sie mit geschlossenen Augen vor sich hin stöhne, schlich Hamild sich vorsichtig aus der Taverne. Es war sein Fluch, der die Menschen in seiner Umgebung erregte. Der Fluch war es, der ihn zu einem Leben in der Einsamkeit führte. Bevor die Menschen, die sich unter seinem Einfluss befanden, ihren Trieben nicht nachgehen konnten, kamen sie nicht zur Besinnung.
Vor der Taverne stand eine Sitzbank. Er beschloss dort zu warten, bis sie fertig waren, denn dann konnte er wieder normal mit ihnen reden. Während er dort saß und abwartete, sorgte er sich um die Leute, die währenddessen an ihm vorbeiliefen. Es dauerte eine kurze Weile, bis die Wirkung einsetzte. Doch einer von ihnen lief nervös umher und blickte immer wieder zu ihm rüber. Schließlich kam er auf ihn zu: „Hey, hast du hier eine Frau gesehen?“, fragte er aufgebracht. „Sie ist in etwa so groß wie ich, Mitte 20. Wollte hier auf mich warten, in einem blauen Rock und weißem Oberteil. Ihr Haar ist braun und lang“, erzählte er weiter.
Hamild überlegte kurz. Er wollte sie nicht verraten, schließlich war es seine Schuld, dass sie ihre Gelüste nicht bei sich behalten konnte. Und so log er: „Nein, so eine Frau ist mir nicht aufgefallen.“
Just in diesem Moment kam Lessa unter Tränen aus der Taverne gerannt und bliebt erschrocken stehen, als sie den Mann sah, der gerade nach ihr fragte. „Vivod! Es tut mir so leid“, rief sie. Er ging auf sie zu und schloss sie in seine Arme. „Der Wirt…“, schluchzte sie, „er hat irgendetwas mit mir gemacht! Ich konnte nicht mehr an mir halten. Der Drang nach Hingabe überkam mich so stark, dass ich mich auf ihn einließ.“
„Mach dir keine Sorgen, Lessa.“, erwiderte ihr Freund und gab ihr einen Kuss. Doch er hörte nicht mehr auf. Er küsste sie innig und fuhr mit seinen Händen an ihrem Körper entlang. Er hätte sie an Ort stelle nehmen wollen. Mitten auf der Straße.
„Hörst du mir überhaupt zu?“, wollte Lessa wissen, die noch unter Schock stand. Er machte weiter. Seine Begierde ließ sich nicht aufhalten. Doch Lessa war bei Sinnen und konnte ihn davon abhalten. “Nicht jetzt, nicht hier”, sagte sie schließlich. Und so nahm er sie an der Hand und machte sich mit ihr auf den Weg nach Hause. “Wir müssen dringen reden”, erklärte sie, als er sie wortlos am Arm zog. Sie gab schließlich nach und ging mit ihm.
Der Fluch hat zwar eine starke Wirkung, doch er treibt die Menschen nicht zu Dingen die sie nicht wollten. So würde Vivod Lessa nie verletzen wollen und Lessa nie mit jemandem schlafen, zu dem sie sich nicht ein kleines bisschen sexuell hingezogen fühlt. Die Reue aber, die Liebsten zu betrügen, die ließ sich nicht vermeiden.
Hamild ging wieder in die Taverne und setzte sich an den Tresen: „Noch einen Krug bitte!“, forderte er den Wirt auf, der daraufhin beschämt zum Bierfass eilte. „Tut mir leid, dass du das mit ansehen musstest. Ich weiß nicht was über mich kam. Sie ist eine schöne Frau, ja. Doch das war nicht ich, der …“, sagte er mit reumütiger Stimme.
Hamild unterbrach ihn. „Keine Sorge. Menschen können sich in meiner Gegenwart nicht beherrschen“, erklärte er ihm. Sengo blickte verwirrt drein, als er den Rest der Geschichte hörte. „Meine Frau trat einem Club…, einem Zirkel oder irgend sowas bei. Sie belegte mich mit einem Fluch, als ich sie verließ“, erzählte er offen. Der Wirt war verwirrt und überlegte kurz, ob er gerade veralbert wird, währen Hamild einen Schluck trank.
„Lessa ist ihrem Freund seit 6 Jahren treu. Beide waren immer glücklich, hatten nie jemand anderen an ihrer Seite. Selbst im trunkenen Zustand schwärmte Vivod von seiner Freundin, als wäre er frisch verliebt“, erzählte der Wirt seufzend. „So verrückt deine Geschichte auch klingt, anders kann ich mir unser Verhalten nicht erklären. Anders würde es keinen Sinn ergeben“, schlussfolgerte er. „Ich kenne da jemanden Ha-hali…“
„Hamild“, korrigierte er Sengo sofort.
„Hamild, danke. Ich kenne da eine Frau. Jeder hier kennt sie. Konalia. Sie ist berüchtigt für ihre Heilkünste. Ihre Dienste sind teuer, aber noch ist kein Kunde unzufrieden nach Hause gegangen. Kräuter und Öle sind ihr Fachgebiet. Vielleicht kann sie dir helfen.“ Er schrieb ihm eine Wegbeschreibung, die ihm zur besagten Frau führen sollte.
“Aber ihre Kunden kommen wieder nach Hause, ja?”, fragte Hamild skeptisch.
“Selbstverständlich. Keine Sorge”, sagte Sengo selbstsicher.
“Hast du ihre Dienste schon einmal in Anspruch genommen?”, wollte Hamild wissen.
“Nun, darüber können wir ein anderes Mal sprechen.”
“Verstehe. Irgendwie. Darüber werden wir definitiv noch mal sprechen”, sagte Hamild schließlich.