Tamara war so nett und hatte mir am Tag darauf meine Sachen aus meinem Zimmer geholt, nachdem sie die letzten Gäste verabschiedete. Der Urlaub am See war für dieses Jahr erst mal gelaufen. Und sie fürchtete, dass sie nie wieder öffnen werden. Aber für sie war diese Erfahrung ähnlich überwältigend wie für mich.
Richie verabschiedete sich gar nicht von mir. Er fuhr noch am gleichen Abend mit Maria nach Hause. Und Maria war offenbar so begeistert von ihrem neuen Spielgefährten, dass auch sie mich komplett vergaß. Ich war etwas enttäuscht, aber ich freute mich für sie und möchte mir gar nicht vorstellen wie oft sie auf dem Weg nach Hause halten mussten, um übereinander herzufallen. Aber gerade von denen dachte ich, dass sie mir zumindest noch mal beistehen werden. Aber wer war ich schon. Einfach nur ein Kollege und Bademeister. Mehr nicht. Das bedrückte mich ebenfalls.

„Tony, wenn du alles beisammenhast, rufe ich dir gleich ein Taxi. Das kann dich dann zum Bahnhof bringen. Danke für deine Arbeit hier“, sagte Tamara lächelnd und umarmte mich. Ich erwiderte die Umarmung und streichelte ihr hastig über den Rücken. Ihr Haar duftete fruchtig und ihr blauer Pulli war babyweich. „Und was du auch wissen solltest…“ Sie ging einen Schritt zurück, hielt mich an den Schultern und schaute mir in die Augen. Für einen Moment dachte ich fast, dass sie mir einen Heiratsantrag machen wollte. Das war es aber zum Glück nicht. „Ich war immer auf deiner Seite. Egal worüber Sabrina sich beschwert hat. Und sie war die Einzige hier, die sich über dich beschwert hat. Dennoch musste ich ab und an mal was sagen. Schließlich muss ich ja auch etwas Neutralität bewahren. Ich hoffe du hast das nie in den falschen Hals bekommen.“
„Schon gut“, sagte ich. „Das habe ich gemerkt“, erwiderte ich und lächelte sie an. „Und…, danke.“ Dann drehte ich mich um und schaute runter auf das Wasser. Die kühle Morgenluft tat richtig gut. „Es fühlt sich heute so einsam hier an. Das ist ungewohnt.“
„Außer uns ist auch niemand mehr hier. Es fühlt sich also nicht nur so an.“
„Klingt vielleicht komisch, aber ich mag das.“
„Einsamkeit?“, fragte Tamara irritiert.
„Vielleicht nicht die Einsamkeit, aber die Stille. Und wie friedlich der Wind über den ruhigen See saust.“ Ich setzte mich neben meinem Gepäck ins Gras und betrachtete weiter das Wasser.
Sie nahm neben mir Platz und sagte: „‘Saust‘, das Wort hört man aber auch nicht alle Tage. Aber da bin ich ganz bei dir. Bevor die Saison losgeht, freue ich mich auch immer auf ein paar sehr sehr ruhige Tage hier unten.“

Ich lächelte ein wenig. „Können wir mit dem Taxi vielleicht noch einen Moment warten?“
„Klar, kein Problem. Ich werde hier eh noch eine ganze Weile beschäftigt sein.“
„Was machst du denn jetzt noch ganz allein hier?“, wollte ich wissen.
„Ich muss Lebensmittelbestellungen stornieren, die Zimmer aufräumen und abschließen, in der Küche alles entsorgen, die Lohnabrechnungen fertig machen, Kündigungen schreiben und…“
„Schon gut, versteh schon“, unterbrach ich sie.
„Ja, also ich weiß nicht, wann ich hier mit allem fertig bin.“
„Und jetzt willst du hier ganz einsam die Stellung halten? Schon eine Idee wie es jetzt für dich weitergehen wird?“
„Mir bleibt nun mal nichts anderes übrig.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Und wie es weitergeht? Keine Ahnung. Vielleicht verkaufe ich den ganzen Laden einfach und lasse ein paar Jahre die Seele baumeln.“
„Klingt auch gut“, sagte ich.
„Und du, Tony? Wie geht es dir mit all dem?“
„Taub. Ich glaube das Ganze ist noch gar nicht so richtig zu mir vorgedrungen. Erstmal zur Normalität zurückkehren. Das ist das was ich am ehesten will.“

Mein Job an diesem Badesee war nicht von langer Dauer. Entsprechend fiel die Bezahlung auch wirklich mies aus. Die Erfahrungen dort waren aber einmalig. Also ich mein, wirklich, es war einfach verrückt. Als ich ging war ich zutiefst bestürzt über das, was passiert ist. Mittlerweile kann ich sagen, dass ich es gut verarbeitet habe. Ich habe mich damit abgefunden, dass ich nie vergessen werde, was Sabrina der lieblichen Mizu angetan hat. Ich werde es ihr nie verzeihen. Mittlerweile ist es aber auch schon wieder 15 Jahre her und meine Therapeutin hat lang gebraucht, um mich mental wieder in die richtige Bahn zu lenken.

Auch wenn der Betrieb am Badesee damals erstmal ausgesetzt wurde, im Jahr darauf ging es schon wieder ganz normal weiter. Woher ich das weiß? Nun, du glaubst vielleicht, dass ich nach diesem Vorfall traumatisiert alles gemieden habe, was mich auch nur im Geringsten an diesen Ort erinnerte. Dem war aber nicht so. Denn die Arbeit selbst, wenn sie denn normal ablief, fand ich sehr erfüllend. Sodass ich es für eine gute Idee hielt meiner ‚Karriere‘ als Bademeister eine weitere Chance zu geben.